Schuldzuweisung und Selbstbestimmung


Orientierung ist die ökonomische Schlüsselleistung des 21. Jahrhunderts. Nichts ist wertvoller. Aber der Kurs wird nicht mehr offiziell ausgegeben. Das hilft zuerst den Scharlatanen, den alten Ideologen und neuen Sinnhubern, die uns an jeder Ecke eine neue Richtung verhökern wollen. Nur die eine, unsere, ist nie im Angebot. Vielen scheint das zu reichen. Wenn man nicht weiß, wo man hin will, ist jede Richtung irgendwie okay – bis man merkt, dass selbst fahren besser ist als getrieben werden.¹

Die gegenwärtige Ohnmacht und Orientierungslosigkeit ist unter Anderem Resultat blanker Überforderung und Unübersichtlichkeit der Situation, die mittlerweile hochkomplex ist.² Wie Veränderungen bewirken, die tatsächlich etwas ändert oder ändert sich ohnehin alles viel zu oft, ohne ein klares Ziel vor Augen zu haben? Auch die Medien sind nicht in der Lage ein übersichtliches Bild zu kommunizieren und so kann es auch nicht zur Meinungsbildung in der Gesellschaft kommen. Es werden lediglich Teilaspekte umgewälzt – oft nicht gerade die wichitigsten – Gäste beider Lager eingeladen und sich wiedersprechende Ergebnisse hoch offizieller Studien präsentiert. Nach wirtschaftlichem Aufschwung, dem Kampf für gleiche Rechte, Aufstand gegen die Eltern, anhaltendem Frieden und dem Niederreißen aller Grenzen, haben wir einen Zustand erreicht, der uns erstarren lässt. Die Dauerkrisen und der nicht enden wollende Terror hat uns vollends entmutigt. Geht es also überhaupt noch um die mittlerweile allgegenwärtige Forderung nach Veränderung?

Change, yes we can. . . or maybe not?

Die wichtigste Nachricht der Aufklärung ist immer noch: selber denken.³ Das ist natürlich viel anstrengender, als einfach irgendjemandem nachzutrotten, doch wird man feststellen, dass auch der Vordermann das Denken bereits „outgecourced“ hat. Auch auf der Universität kann aktives Nachdenken nicht schaden. Es ist Kreativität gefragt! An welchen grundlegenden Rädern können wir drehen, anstatt die gesamte Diskussion über Bildungsangelegenheiten in unwichtigen Randthemen zu ertränken? Christian Scholz, Professor fur Betriebswirtschaftlehre an der Universität des Saarlandes, nenn im Standard einige wichtige Punkte, die im Bezug auf die aktuelle Umsetztung des Bologna-Prozesses einer deutlichen Verbesserung bedürfen. Er fordert Transparenz bisheriger Reformen und einen öffentlich-gesellschaftlichen Diskurs unter Einbeziehung der Betroffenen. Eine Wettbewerbsstrategie „Bildung“ für Österreich und Europa mit wenigen aber durchdachten Studienangeboten, Entbürokratisierung und Verringerung der Macht von Universitätsleitungen. Und zu guter letzt Dezentralisierung durch Eigenverantwortung für Professoren und Studierende. Vor allem aber brauchen wir eine positive Vision zu dem, was an Faszinierendem mit Bologna verknüpfbar ist.⁴

Was fehlt, um eine gemeinsame Vision zu verwirklichen?

Es geht wie auch in der Architektur darum Potentiale zu erkennen und kreativ umzusetzen, nicht um vorauseilenden, blinden Gehorsam und möglichst brave Umsetzung. Im Endeffekt hängt die Qualität und der Inhalt von universitärer Lehre vom Lehrenden selbst ab. Lehrveranstaltugen umzubenennen und innerhalb des Studienplans an andere Positionen zu rücken ändert hingegen nichts, denn schießlich tragt die selbe Person, den selben Inhalt, mittels der selben Unterlagen erneut vor. Daran ist a priori auch nichts auszusetzen, jedoch ist diese im höchsten Maße banale Tatsache, nicht allen klar. Jeder Professor und mit ihm jedes Institut sollte eigenverantwortlich handeln und die Studierenden, wegen denen all unsere Universitäten überhaupt existieren, stärker in Prozesse eingebunden werden. Selbstverantwortung für Institute, Selbstverantwortung für Lehrende, Selbstverantwortung für Studenten. Das generalistische Architekturstudium lebt von der Persönlichkeitsentfaltung seiner Studenten und muss diese im höchsten Maße fördern. Womit wir wieder beim selber Denken wären. Es ist inakzeptabel, durchschnittliche Leistungen als Maßstab anzulegen, anstatt alle an den Besten zu messen. Oft wird Motivation und der Wille zur Selbstständigkeit unzureichend gefördert, aus dem Irrglauben, man könne es nur allen recht machen – und das scheint einer der wichtigsten Grundsätze unserer Zeit zu sein – wenn man keinen zu sehr lobt und auch niemanden durchfallen lässt. Schalten wir alle gemeinsam unsere Hirne ein, jeder für sich!

¹,³ Wolf Lotter, „Selbst-Bestimmung“, brand eins 10 (2011): 62.

² vgl.: „Das Master-Desaster“ ZDF log in. ZDF mediathek, 13. April 2011 http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1308840/ZDF-log-in-komplett-Das-Master-Desaster#/beitrag/video/1308840/ZDF-log-in-komplett-Das-Master-Desaster, Zugriff am 5. Oktober 2011.

⁴ Christian Scholz. „Generation Bologna: Belogen und bestohlen!“. Der Standard, 11. Juni, 2010 http://derstandard.at/1276043673065/Kommentar-der-anderen-Generation-Bologna-Belogen-und-bestohlen?_seite=2&sap=2#forumstart, Zugriff am 4. Oktober 2011.

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